Zweiundzwanzigster Khaṇḍa.

[95] Dieser Khaṇḍa besteht aus drei Abschnitten welche sich auf die Vortragsweise des Sâman beziehen.

Der erste zählt sieben verschiedene Gâna, Sangweisen des Sâman, auf, deren Unterschied in der gewählten Klangfarbe und andern Besonderheiten des Vortrags zu bestehen scheint. (Vgl. dazu Talav. Up. Br. 1,37. 51-52).

Der zweite Abschnitt lehrt, woran man beim Gesange zu denken habe, um durch denselben bestimmte Erfolge herbeizuführen.

Der dritte stellt die Buchstaben des Textes unter den Schutz bestimmter Götter und zeigt, wie die Buchstaben auszusprechen sind, um das Wesen dieser Götter in ihnen richtig zum Ausdrucke zu bringen.


1. »Ich wähle die viehartig brüllende [Vortragsweise] des Sâman«, so heisst es vom Udgîtha des Agni; der undeutliche (verschleierte) gehört dem Prajâpati, der deutliche dem Soma an. Weich und zart ist die [Sangweise] des Vâyu, zart und doch kräftig die des Indra; die brachvogelartige ist dem Bṛihaspati, die [wie zersprungenes Metall] misstönige dem Varuṇa eigen. – Man soll diese alle ehren, die des Varuna aber [beim Gebrauche] lieber meiden.[95]

2. Man singe mit der Absicht, den Göttern Unsterblichkeit zu ersingen; oder man mag mit der Absicht, den Vätern den Labetrank, den Menschen was sie hoffen, dem Vieh Gras und Wasser, dem Veranstalter des Opfers die Himmelswelt und für sich selbst Nahrung zu ersingen, – indem man dabei auch was jetzt folgt im Geiste erwägt, – wohlbedacht das Stotram anstimmen.


3. Alle Vokale sind Verkörperungen des Indra, alle Zisch- und Hauchlaute Verkörperungen des Prajâpati, alle Mutae Verkörperungen des Mṛityu (Todes). – Sollte man den [der solches weiss] in betreff der Vokale [in seinem Vortrage] tadeln, so erwidere er: »Ich habe mich in den Schutz des Indra begeben, der wird dir antworten.«

4. Sollte man ihn in betreff der Zisch- und Hauchlaute tadeln, so erwidere er: »Ich habe mich in den Schutz des Prajâpati begeben, der wird dich zermalmen.« Sollte man ihn in betreff der Mutae tadeln, so erwidere er: »Ich habe mich in den Schutz des Mṛityu begeben, der wird dich verbrennen.«

5. Alle Vokale müssen volltönend und kräftig ausgesprochen werden, indem man dabei denkt: »Dem Indra möge ich Kraft geben.« Alle Zisch- und Hauchlaute müssen unverschluckt und ungestossen, offen ausgesprochen werden, indem man dabei denkt: »Dem Prajâpati möge ich mein Selbst anvertrauen.« Alle Mutae müssen ein wenig unverbunden ausgesprochen werden, indem man dabei denkt: »Vor Mṛityu möge ich mein Selbst bewahren.«

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 95-96.
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